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Ein tragisches Unglück, zwei Tote und ein Urteil: Die Zusammenfassung des Aufsehen erregenden Prozesses nach der Entenjagd von Geisenfeld, die zwei Menschenleben gefordert hatte, noch bevor sie richtig begann

Von Tobias Zell

Strafrechtlich gesehen ist die Aufarbeitung des tödlichen Bootsunglücks von Geisenfeld, das an Silvester vergangenen Jahres zwei Menschenleben gefordert hat, vorerst abgeschlossen. Vermutlich wird das letzte Wort aber noch nicht gesprochen sein, denn der Verteidiger von Siegmund B. hat bereits angekündigt, gegen das heutige Urteil des Amtsgerichts Pfaffenhofen in Berufung zu gehen. Der Richter befand den 69-jährigen Eigentümer von Boot und Weiher jedenfalls für schuldig – und begründete das umfangreich. Siegmund B. aus der Gemeinde Geisenfeld wurde wegen fahrlässiger Tötung in zwei Fällen sowie wegen fahrlässigen gefährlichen Eingriffs in den Schiffsverkehr zu einer Geldstrafe in Höhe von 140 Tagessätzen à 140 Euro (19 600 Euro) verurteilt. Damit fiel das Urteil sogar noch deutlicher aus, als vom Staatsanwalt gefordert, der auf 160 Tagessätze zu je 100 Euro (16 000 Euro) plädiert hatte. 

Siegmund B. hatte auf seinem Teichgut bei Geisenfeld eine private Entenjagd veranstaltet, die zwei Menschen das Leben kosten sollte. Das Boot legte gegen 13.45 Uhr ab – und sank kurz darauf. Die beiden damals 27 und 53 Jahre alten Frauen an Bord sowie der Bootsführer konnten sich ans Ufer retten. Ein 70-jähriger Jäger wurde vom zur Hilfe geeilten Teichgut-Besitzer mit Hilfe eines zweiten Boots, das allerdings erst geholt werden musste, aus dem Weiher gezogen und an Land gebracht, nach der Reanimation in eine Klinik geflogen, schwebte tagelang in Lebensgefahr und starb schließlich. Die Leiche des nach dem Unglück vermissten 33-jährigen Jägers wurde Tage später im Rahmen einer groß angelegten Suchaktion von Polizeitauchern entdeckt und geborgen. Sein toter Körper lag 20 Meter vom Ufer entfernt in 1,70 Metern Tiefe, wie der Taucheinsatzleiter berichtete. Das Boot, das ebenfalls geborgen wurde, war in 57 Meter Entfernung zum Ufer untergegangen, nur noch ein Teil ragte aus dem Wasser.

„Ein schlimmes Unglück“, hatte der 37-jährige Bootsführer erklärt, der an den ersten beiden Prozesstagen noch mit auf der Anklagebank saß. Doch dann zog Stefan H. aus der Gemeinde Obertraubling für sich die Reißleine: Er ließ über seinen Verteidiger erklären, dass er aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr weitermachen wolle und seinen Einspruch gegen den Strafbefehl zurücknehme. Eine „respektable Entscheidung“, wie der Richter heute nach dem Urteilsspruch befand; Stefan H. habe seine Schuld eingesehen. 

Zu dem Prozess kam es überhaupt erst, weil die beiden Angeklagten einen von der Staatsanwaltschaft erwirkten Strafbefehl über 120 Tagessätze nicht akzeptiert hatten. Mit der Annahme der Strafbefehle wären beide dem Prozess entgangen und die Sache wäre strafrechtlich für sie erledigt gewesen – allerdings wäre das praktisch einem Schuldeingeständnis gleichgekommen. Und: Ab 90 Tagessätzen kommt es zur Eintragung im Führungszeugnis. 

Stefan H. konnte nach der nachträglichen Annahme des Strafbefehls direkt die Anklagebank verlassen; für ihn war der Fall erledigt. Er hatte im Oktober vergangenen Jahres bei dem Teichgut-Besitzer eine Ausbildung zum Fischwirt begonnen. Inzwischen wurde das Arbeitsverhältnis aufgelöst. Dass den 37-Jährigen der Prozess mitnahm, war unübersehbar. Nach seinen Angaben an jenem verhängnisvollen Tag kurzfristig zum Bootsführer gemacht und letztlich dann mitverantwortlich am Tod zweier Menschen, wirkte der Ex-Azubi, der das Unglück überlebte, weil er sich schwimmend ans Ufer retten konnte, selbst wie ein Opfer – hätte er durch sein Verhalten auf der Anklagebank, insbesondere durch manches Wort mit allzu spitzer Zunge, diesen Eindruck nicht immer wieder zu verwischen gewusst. 

Auf diesem Weiher geschah das Unglück; im Hintergrund die Einsatzfahrzeuge.

Teichgut-Besitzer Siegmund B. verzichtete von Beginn an auf jegliches Wort des Bedauerns. Selbst heute, als ihm kurz vor der Urteilsverkündung das letzte Wort zustand, kam keine entsprechende Äußerung über seine Lippen. Beim Vater des 33-Jährigen, der bei dem Unglück ums Leben gekommen war, habe er sich seit dem verhängnisvollen Unfall weder gemeldet noch anderweitig sein Bedauern ausgedrückt, erklärte uns der Vater, der sein einziges Kind verloren hat.

Siegmund B. wirkte über alle drei Prozesstage, als könne er überhaupt nicht verstehen, warum er überhaupt auf der Anklagebank sitzt. Der Herr über zwei Teichgüter sorgte am zweiten Prozesstag für Empörung: Als es am Mittwoch um die Frage ging, wann der Prozess gegen ihn wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung von zwei Menschen fortgesetzt wird, signalisiert er, dass ihm der Termin am heutigen Freitag nicht so gut passt, weil Hochsaison in der Fischerei sei. Und heute fing er bereits damit an, seine Sachen zu packen, während noch die Begründung des Urteils verlesen wurde. Er  musste vom Richter ermahnt werden, doch bitte zuzuhören. „Ich bin so überrascht“, lautete die Antwort des Verurteilten, der offenbar – wie von seinem Verteidiger gefordert – mit einem Freispruch gerechnet hatte. 

Der Richter gab sich indes alle Mühe, seine Entscheidung ausführlich und detailliert zu begründen. Nach seiner Überzeugung haben mehrere „gravierende und nachhaltige“ Verstöße des Angeklagten gegen die Sorgfaltspflicht das Unglück herbeigeführt und den Tod der beiden Menschen verursacht. Zu Erläuterung fasste er die im Verlaufe des Prozesses gewonnenen Erkenntnisse zusammen. Er verwies zunächst auf die „mangelnde Sicherheitsbelehrung“ der Boots-Passagiere. Die habe in zu lockerer Atmosphäre stattgefunden, da seien Witze gemacht worden, nicht alle Adressaten seien durchgehend dabei gewesen – und die hörgeschädigte junge Frau hatte ausgesagt, nicht alles verstanden zu haben. Man hatte sich offenbar auch nicht die Mühe gemacht, dafür zu sorgen, dass sie alles mitbekommt. 

Boot und Bootsführer wurden nach Meinung des Richters nicht sorgfältig ausgewählt. Der Angeklagte hätte als Bootseigentümer „überhaupt keine Ahnung“ gehabt, wie viele Leute überhaupt hätten einsteigen dürfen. Der Bootsführer hatte nicht viel Erfahrung, wie er selbst ausgesagt hatte. Es gab keine Rettungsmittel an Bord, es lag kein zweites Boot für Notfälle bereit, es gab am Ufer keine Rettungsringe oder Ähnliches, die Passagiere trugen keine Schwimmwesten. Dabei war Siegmund B. nach Einschätzung des Gerichts als Inhaber des Teichguts, als Eigentümer des Boots und als Veranstalter dieser Privatjagd der Verantwortliche. 

Der Richter hatte „keine Zweifel“ daran, dass das Boot überladen war, und dass dies auch die Ursache für das Sinken war. Dem Erklärungsversuch, dass sich das Festmachseil des Boots während der Fahrt irgendwo verfangen haben könnte und das Boot deshalb nach unten gezogen wurde, erteilte der Richter eine doppelte Absage. Erstens sei das Seil nach dem Unfall so lang gewesen wie zuvor – also nicht gerissen. Beschädigt worden sei es auch nicht, wie sich gezeigt habe. Und der Knoten, mit dem das Seil am Boot befestigt war, hat sich – laut Gutachter – auch nicht zusammengezogen. Also herrschte kein Zug auf das Seil, weshalb es sich nicht verfangen haben kann, so der Richter sinngemäß. Diese Version sei „mit absoluter Sicherheit auszuschließen“. 

Nach Ansicht des Richters findet auf dem gut 20 Hektar großen Unglücksweiher zudem die bayerische Schifffahrtsordnung „zweifelsfrei Anwendung“, wie er ausführlich herleitete. Und nach der Schifffahrtsordnung hätten sich Schwimmwesten an Bord befinden müssen. 

Zugute gehalten wurde dem Angeklagten vom Richter unter anderem, dass er den Unglücks-Sachverhalt eingeräumt hat, dass es vor der verhängnisvollen Bootsfahrt eine „Art Sicherheitsbelehrung“ gab, dass Siegmund B. nicht vorgestraft ist, dass er nach dem Unglück Rettungsbemühungen unternahm sowie dass die Passagiere ein erhebliches Mitverschulden trifft – bekanntlich trug niemand eine Schwimmweste.

Unterm Strich hielt der Richter – vor allem wegen des Mitverschuldens der Boots-Insassen – eine Geldstrafe für ausreichend. Ohne das Mitverschulden der Passagiere wäre man „sicher im Bereich einer Freiheitsstrafe gewesen“, sagte er. Die Höhe des verhängten Tagessatzes musste der Richter schätzen, da der Angeklagte keine Angaben zu seinen finanziellen Verhältnissen machen wollte. Der Richter ging davon aus, dass es sich um „keinen ganz armen Mann“ handelt, da Siegmund B. immerhin Eigentümer von zwei Teichgütern sei. 

 

Tage nach dem Unfall wurde die Leiche des vermissten 33-Jährigen aus dem Weiher geborgen. Das Boot wurde sichergestellt und von Experten untersucht.

In seiner Urteilsbegründung hatte der Richter die zentralen Punkte aus dem Plädoyer des Staatsanwalts aufgegriffen. Der Staatsanwalt nannte als Ursache des Unglücks ein „Konglomerat aus fahrlässigem Handeln und Selbstüberschätzung“. Wer eine Gefahrenquelle schaffe, müsse auch dafür einstehen, betonte er und legte Siegmund B. mehrere Sorgfaltspflichtverletzungen zur Last: die „Art Sicherheitsbelehrung“, die „wohl eher ein gemütliches Beisammensein in fideler Runde“ war und bei der nicht alle durchgehend anwesend waren; der fehlende Hinweis auf die Tragkraft des Boots, der nicht ausreichende Hinweis, dass sich im Schuppen Schwimmwesten befinden und die nicht erfolgten Hinweise an die Teilnehmer bezüglich des Verhaltens im Unglücksfall. 

Es sei ein „fataler Fehler“ gewesen, so der Staatsanwalt, dass an jenem Tag nicht – wie sonst – ein größeres Boot verwendet wurde. Zudem habe man einen „äußerst unerfahrenen Bootsführer“ eingesetzt, der noch nie so viele Personen transportiert habe –  und das bei schwierigen Bedingungen wegen des Eises und angesichts eines Boots, das normalerweise nicht zum Personentransport eingesetzt werde. Siegmund B. hätte nach Meinung des Staatsanwalts auch auf der Verwendung von Schwimmwesten bestehen müssen.

Aus Sicht des Staatsanwalts war die Überladung des Boots die Ursache des Unglücks – und die Tatsache, dass keine Rettungsmittel greifbar waren, mitursächlich für den Tod der beiden Menschen. Ein Mitverschulden der Passagiere sah aber auch er angesichts nicht getragener Schwimmwesten. Doch schon die Überladung allein reicht seiner Einschätzung nach aus, um den Vorwurf der Fahrlässigkeit zu belegen.  Abschließend attestierte der Staatsanwalt dem angeklagten 69-jährigen Siegmund B. auch fehlende Schuldeinsicht. 

Der Anwalt des Nebenklägers – der Vater des ums Leben gekommenen 33-Jährigen – unterstrich die Ausführungen des Staatsanwalts und erklärte, es sei das größte Unglück, das Vater und Mutter passieren könne, wenn sie ihr einzigen Kind verlieren. In Richtung Anklagebank sagte er: Anstatt durch flapsige Bemerkungen über Feststellungen des Gutachters zu versuchen, Lacher im Zuschauerraum zu bekommen, wäre ein Wort des Bedauerns gegenüber den Eltern angemessen gewesen. Doch das sei anscheinend nicht für nötig befunden worden.

Er könne sich an keine flapsige Bemerkung erinnern, entgegnete der Verteidiger von Siegmund B. in seinem Plädoyer: Der Angeklagte wisse ganz genau und aus nächster Nähe, was geschehen sei, er habe zwei Freunde verloren. Er wolle einen falschen Eindruck über seinen Mandanten vermeiden, betonte der Verteidiger und sprach von einer „Tragödie“, die sich vor knapp einem Jahr ereignet hat. Die Ursache sah er in einer „Verkettung unglücklicher Umstände“, für die sein Mandant aber strafrechtlich nicht verantwortlich sei. Er verwies auf die Aussage der Frau des Angeklagten, Ulrike B.,  wonach seither nichts mehr so sei, wie es war. Sein Mandant müsse seither jeden Tag auf den Weiher blicken, auf dem das Unglück geschehen sei. 


Zu Beginn des Prozesses saßen noch zwei Männer auf der Anklagebank.

Die Beladung des Boots hat nach Meinung des Verteidigers den Unfall nicht verursacht. Eine Überladung sah er auch „in keinster Weise als bewiesen“ an. Und falls das Boot doch überladen gewesen sein sollte: Hätte der Angeklagte das überhaupt erkennen können? Der Verteidiger konnte auch nicht verstehen, warum ein Sachverständiger herangezogen wurde, der noch nie mit dem Untergang eines Boots zu tun hatte – das hatte der Gutachter zwar selbst einräumen müssen. Er hatte aber auch erklärt, dass er eine mehrjährige Lehrzeit beim TÜV und eine Prüfung am zuständigen Ministerium absolviert habe, zudem mehrere Bootsführerscheine besitze sowie Ausbilder und auch Prüfer sei. Der Richter sah jedenfalls keinen Grund die Qualifikation des Experten in Zweifel zu ziehen, wie er in seiner Urteilsbegründung erklärte. 

Der Verteidiger von Siegmund B. appellierte auch an den gesunden Menschenverstand: Die Frau des Angeklagten saß mit in dem Unglücksboot – und sein Mandant hätte doch seine Frau nicht mitfahren lassen, wenn er Bedenken gehabt hätte. Gleiches nahm er für den Bootsführer in Anspruch: Der wäre doch nicht losgefahren, wenn er Befürchtungen gehegt hätte. Außerdem stellte der Verteidiger klar, dass er den Schluss der Staatsanwaltschaft für unzulässig halte, dass nur, weil keine andere Ursache für das Unglück gefunden worden sei, die Überladung die Ursache sein soll. 

Zur Frage der Anwendbarkeit der Schifffahrtsordnung auf dem Weiher – die der Richter in seiner Urteilsbegründung klar mit Ja beantwortete – erklärte der Verteidiger, dass diese seiner Meinung nach hier nicht gelte. Und sein Mandant sei überhaupt nicht auf die Idee gekommen, dass auf dem Weiher die Schifffahrtsordnung Anwendung finden könnte. Außerdem komme jedes Jahr die Berufsgenossenschaft – und noch nie sei diesbezüglich etwas beanstandet worden oder erklärt worden, er dürfe auf dem Weiher nicht mit einem Motorboot fahren. Auch sei nie nach einem Bootsführerschein gefragt worden – den der Angeklagte im Übrigen auch gar nicht habe.

Nicht mehr hat Teichgut-Eigentümer und Jagd-Veranstalter Siegmund B. indes eine Waffenbesitzkarte. Die Erteilung derselben wurde ihm 2007 „unanfechtbar widerrufen“, wie der Richter zuvor aus dem Bundeszentralregister-Auszug des 69-Jährigen zitierte, der demnach nur diesen einen Eintrag enthält. 

Zu Beginn des heutigen Prozesstags hatte der Richter erst einmal vier Beweisanträge der Verteidigung abgewiesen. Der wohl spannendste, nämlich dass die Kenter- bzw. Sinksicherheit eines Boots nur durch den Fahrversuch eines Sachverständigen aussagekräftig bewiesen werden könne, wurde „wegen völliger Ungeeignetheit“ abgelehnt. Begründung: Die tatsächlichen Gegebenheiten zur Tatzeit (zum Beispiel exaktes Gewicht der Personen, Beladung, Umfang und Art der Eisbedeckung des Weihers, Bewegungen der Personen an Bord, exakte Fahrgeschwindigkeit, Stellung der Motorschraube) seien nicht bekannt und könnten auch nicht ermittelt werden. Somit könnten die Zustände und Vorgänge zur Tatzeit auch nicht durch einen Sachverständigen rekonstruiert werden, stellte der Richter klar.

Der zweite Beweisantrag bezog sich darauf, dass nach Meinung der Verteidigung der Bootsunfall nicht nur Überladung verursacht worden ist, sondern durch ein von außen hinzutretendes Ereignis. Auch dieser Beweisantrag wurde wegen „völliger Ungeeignetheit“ vom Richter abgelehnt – weil nicht mitgeteilt worden sei, durch welches Ereignis von außen denn der Unfall verursacht worden sein soll. Somit fehle ein Anknüpfungspunkt für ein Sachverständigen-Gutachten

Bisherige Artikel zum Prozess:

Das Urteil ist gesprochen

Laut Gutachter war das Todesboot deutlich überladen

Warum sank das Todesboot? 


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