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Plakatieren verboten: Warum beim Circus Rio zur Premiere in Ingolstadt gerade einmal vier Leute kamen 

Von Michael Schmatloch 

Es riecht nach Sägemehl, Tieren und türkischem Honig. Musik. Trommelwirbel, Menschen in Livree und großen Kinderaugen. Das alles gehört zum Repertoire an Erinnerungen von jedem, der in seiner Kindheit mit dem faszinierenden Phänomen Zirkus aufgewachsen ist.

Diese Romantik indes ist – von ein paar großen Zirkussen abgesehen – längst Vergangenheit, die Realität ist einem harten Kampf ums Überleben gewichen bei den rund 400 kleinen Zirkusunternehmen, die heute noch von Stadt zu Stadt tingeln und auf ihr Publikum hoffen. Vom großen Glamour ist meist nicht mehr geblieben, als ein paar schlichte Zelte und ein Ambiente, das diesen Überlebenskampf sinnfällig dokumentiert. Wie beim Circus Rio, der zur Zeit an der Manchinger Straße seine Zelte aufgeschlagen hat und der mit seinen Vorstellungen hofft, den Lebensunterhalt für die vierzehn Artisten zu verdienen, die zu der Truppe um Joachim Sperrlich gehören, den alle Jockel nennen und der der Chef der Zirkusfamilie ist, die seit 1728 über Städte und Dörfer zieht. Ein schwerer Autounfall hätte dem vor Jahren bald ein Ende gesetzt. Ebenso der Einsturz des Zeltes im Februar 2010 in Pasing, als es ein unerwartet heftiger Schneefall zu Boden drückte.

Schicksalsschläge dieser Art, die sind ihm in Ingolstadt erspart geblieben. Nicht aber eine Erfahrung, die ihm das Publikum sozusagen aus dem Zelt gespült hat. Und diese Erfahrung, die machte Joachim Sperrlich mit Ingolstadts umstrittener Plakatierungsregel. Denn wie überall sonst auch hat seine Truppe am 20. Oktober rund 300 Plakate in der Stadt verteilt, um auf die Vorstellungen des Circus Rio aufmerksam zu machen. So schnell sie verteilt waren, so schnell waren sie indes auch wieder eingesammelt.Von der Berliner Firma mediateam, mit der die Stadt einen über 15 Jahre laufenden Exklusivvertrag geschlossen hat, was das Aufhängen von Plakaten in Ingolstadt, aber auch die Aufrechterhaltung der Ordnung und den Umgang mit wilden Plakatieren betrifft.

Zwar hat die neue Plakatierungsverordnung zu einer sichtbaren Verbesserung des Straßenbildes beitragen, an Ausnahmen und Härtefälle indes man in letzter Konsequenz indes offenbar nicht gedacht beim Abschluss des Vertrages, den nachzubessern die Stadt sich ja laut einem Stadtratsbeschluss bemühen soll. Bisher indes gelten die vereinbarten Regeln. Und so bekam Joachim Sperrlich eine Anruf aus Berlin, in dem man ihm erläuterte, dass seine Art des Plakatierens unzulässig sei, die Kosten für die Entfernung der Plakate selbstredend bezahlt werden müssten und er für 35 Cent pro Plakat und Tag in den dafür vorgesehenen Rahmen werben könne.

Der Effekt: Zur Premiere kamen ganze vier Menschen, weswegen die auch ausfallen musste. Und am Samstag darauf war der Besuch ebenso erbärmlich. Wirklich Verständnis für diese Vorgehensweise hat Joachim Sperrlch nicht: „Der Großteil der Gemeinden, in denen wir gastieren, hat eine Plakatierungsverordnung. Aber die drücken eben ein Auge zu und dulden das.“ Zumal seine Truppe die Plakate nicht nur aufhängt, sondern am Ende des Gastspiels zuverlässig wieder einsammelt, schon aus Kostengründen. „Aber in Ingolstadt werden die sofort eingesammelt und dann kostet das sofort Geld.“ Auch in anderen Kommunen habe es schon mal Ärger gegeben. Überall hätten er und seine Zirkustruppe aber die Chance bekommen, die Plakate selbst wieder einzusammeln, ohne Kosten zu verursachen.

Über die Möglichkeit, in den Alu-Rahmen zu werben, habe Sperrlich gar nicht weiter diskutiert. „Wir können uns das nicht leisten. Und wir haben auch gar keine Plakate dieses Formates.“ Immerhin hätten ihn die 300 Plakate bei einer 20-tägigen Aushangzeit 2100 Euro gekostet.

Und auch die Rechnung für die Entfernung könne er kaum bezahlen, da ja ob der verhinderten Werbeaktion auch keine Zuschauer gekommen seien. „Wir hatten einen Wahnsinnseinbruch bei den Zuschauerzahlen“, sagt er, der jetzt mit Flyern wirbt, die er direkt in die Briefkästen steckt, und mit kleinen Plakaten in gutwilligen Geschäften.

„Das heißt es immer, die kleinen Zirkusse sind nicht existenzfähig. Wenn uns wie in Ingolstadt von vorneherein das Wasser abgegraben wird undwir gar keine Einnahmen haben können, dann ist das kein Wunder“, ärgert sich der Zirkusdirektor, „wir haben nun einmal nicht die finanziellen Möglichkeiten wie ein Circus Roncalli.“

Und er glaubt auch ausgemacht zu haben, warum es in Ingolstadt so schwierig ist mit dem Plakatieren. „Man sollte halt schauen, dass es eine ortsansässige Firma macht. Mit denen kann man als kleiner Zirkus meist einen Deal machen“, schimpft Joachim Sperrlich, „wir können nichts anderes als Zirkus.“ Und da so ein Zirkus eben keine Gelddruckmaschine sei, gelte für ihn: „Leben und leben lassen.“ Im Augenblick würde er dieses Sprichwort vermutlich eher anders formulieren: Leben und sterben lassen. 

Der Circus Rio gastiert noch bis zum 10. November in Ingolstadt und hat Mittwoch bis Sonntag jeweils um 15 Uhr eine Vorstellung im Zelt an der Ecke Manchinger Straße/Südliche Ringstraße. 


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