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Warum sich die Pfaffenhofener CSU-Fraktion auf dem Weg zum aufrechten Gang in der Oppositionsrolle heute selbst ins Knie geschossen hat

Ein Kommentar von Tobias Zell

Opposition ist ja nicht gerade das, was man als Christsozialer besonders gut kann oder in die Wiege gelegt bekommt. Aber nach gut sechs Jahren klappt es bei der Pfaffenhofener CSU-Fraktion immer besser, der bunten Koalition um Bürgermeister Thomas Herker (SPD) auf die Finger zu schauen sowie am eigenen Profil zu arbeiten und unangenehm zu sein, ohne sich dabei in kindischen Details zu verlieren, nur damit halt auch Opposition gemacht ist. Die Fraktion um ihren neuen Chef Martin Rohrmann schaut und hört genau hin – und ist gerade dabei, die Themen auszumachen, die sie besetzen kann. Die Themen, die die bunte Koalition aus den Augen zu verlieren droht.

Es ist nachvollziehbar, wenn sich Thomas Röder (CSU) über die plötzliche massive Essensgeld-Erhöhung in den städtischen Kindertagesstätten wundert. Seit 2010 waren die Beiträge der Eltern für die Mahlzeiten nicht erhöht worden. Jetzt, kurz nach der Wahl, landet das Thema auf der Tagesordnung – und weil laut Satzung bei der Mittagsverpflegung kostendeckend gearbeitet werden muss, hatte der Stadtrat heute praktisch gar keine andere Wahl, als die Erhöhung um satte 60 Cent pro Essen zu beschließen.

Es geht aber auch nicht um diese 60 Cent. Es geht um den Zeitpunkt. Von Seiten der Stadtverwaltung wurde Röder auf Nachfrage erklärt, einer der Caterer habe den Preis pro Essen von 2,50 auf 2,90 Euro erhöht. Das stimmt. Aber das kann nicht die Erklärung dafür sein, dass die Erhöhung jetzt erst im Stadtrat behandelt wurde. Denn die besagte Preiserhöhung des Lieferanten datiert vom November vergangenen Jahres – also vier Monate vor der Wahl. Aber kurz vor dem Urnengang das Essensgeld in den Kitas um satte 60 Cent pro Mahlzeit zu erhöhen, das ist unpopulär – und zwar unabhängig davon, ob es unumgänglich ist oder nicht.

Man muss auch die bunte Koalition im Auge behalten – nicht, weil man ihr etwas unterstellen mag. Nein, weil Regierungsmehrheiten einfach im Auge behalten werden müssen. Und genau diese Aufgabe federführend zu übernehmen, das muss die Rolle der CSU in den kommenden Jahren sein. Da muss der Polizist Thomas Röder sozusagen immer wieder nach dem Rechten schauen, da muss der Anwalt Martin Rohrmann das Kleingedruckte lesen, da muss Altbürgermeister Hans Prechter seine Erfahrung in die Waagschale werfen, Florian Schranz seinen Unternehmergeist ins Spiel bringen und Barbara Breher das neue Selbstverständnis verbreiten.

Heute aber hat sich diese „neue“ CSU auf dem Weg hin zum aufrechten Gang in der Oppositionsrolle selbst ins Knie geschossen. Weil sie gegen die Archivierung der Video-Aufzeichnungen im Internet votierte. Dass die Christsozialen dabei geschlossen dagegen waren, mag erwähnt sein, macht es aber nicht besser. Denn es gibt in Zeiten, wo Transparenz und Bürgernähe groß geschrieben werden, keinen einzigen vernünftigen Grund dafür, warum man sich nicht auch noch in einigen Monaten anschauen können soll, was dieser oder jener Stadtrat damals in einer Sitzung zu diesem oder jenem Thema gesagt hat. Die einzige Erklärung für das Sträuben, da hat SPD-Chef Markus Käser Recht, ist: Angst.

Und das ist nicht einmal eine böse Unterstellung, denn Altbürgermeister Prechter hat diese Angst vor der Unendlichkeit ja selbst längst formuliert. Warum aber hat ausgerechnet die Opposition Bedenken? Müsste – wenn überhaupt – nicht eher die Regierungsmehrheit besorgt sein, dass man ihr eines Tages vorhält, was sie versprochen und nicht gehalten hat? Sollten nicht gerade die CSU-Frationsmitglieder selbst die emsigsten Nutzer dieses Video-Archivs sein? 

Wer von den Bürgern gewählt worden ist, um sie zu vertreten, der muss damit leben, dass das, was er in den Sitzungen sagt, dokumentiert wird, archiviert und abrufbar bleibt. Wer ein politisches Amt übernimmt, egal welches, muss damit leben, dass er im Original zitiert wird. Auf welcher Grundlage soll der Bürger sonst wählen können? Und überhaupt: Auch im Sitzungsprotokoll bleibt grundsätzlich vermerkt, wer sich wie äußert. Und die Medien schreiben mit und berichten. Viele Stadträte pflegen ein privates Archiv aus Zeitungsausschnitten und Ausdrucken von Online-Beiträgen – doch gerade, um nachschauen zu können: Wer hat wann was zu welchem Thema gesagt.

Nun mag man als großer Skeptiker Hans Prechters Angst vor der Unendlichkeit der Archivierung vielleicht ein kleines Stückchen teilen. Aber es ging heute gar nicht darum, die Aufzeichnungen aus dem Stadtrat für immer abrufbar zur Verfügung zu stellen. Nein, es ging um ein Jahr. „Wenn es zwölf Monate sind, werden wir uns Rausschneiden lassen“, proklamierte aber Rohrmann schon vor der Abstimmung, weshalb Käser als Vorschlag zur Güte vier Monate ins Spiel brachte. Doch auch hier sagte die CSU: Nicht mit uns. 

Und hat sich mit einer kaum nachvollziehbaren Entscheidung ins Abseits gestellt. Vor allem, weil Rohrmann & Co. doch selbst wissen, was das nun bedeutet: Nämlich dass sämtliche Beiträge der CSU-Stadträte aus den Aufzeichnungen herausgeschnitten werden müssen. Dass die CSU nicht mehr vorkommt. Dass keiner mehr im O-Ton nachvollziehen kann, was die CSU im Detail gesagt hat, was sie im Wortlaut wollte, wie sie ganz genau argumentiert hat – oder wie sie den Finger in die Wunde gelegt und der bunten Koalition auf die Finger geklopft hat.

Die CSU ist nicht mehr im Bild. Und sie ist nicht mehr zu hören. Das ist das Ergebnis ihrer eigenen Entscheidung heute im Stadtrat. Damit hat sie sich einen Bärendienst 2.0 erwiesen. Freilich, die Christsozialen werden früher oder später fraktionsintern einen Kompromiss finden und nachträglich zustimmen, dass sie in den Aufzeichnungen für drei Wochen, oder für fünf, oder auch für zwölf Wochen zu hören und zu sehen sind. Vermutlich wird die dieser Tage ins Internet gestellte Aufzeichnung der heutigen Sitzung den Kompromiss beschleunigen. Denn beim Anschauen des Videos wird den CSU-Leuten unmissverständlich klar werden, was sie da heute beschlossen haben. Nämlich, dass sie nicht mehr vorkommen. Und so bescheiden sind CSU-Politiker nicht einmal in der tiefsten Opposition.

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