Logo
Anzeige
Anzeige

Erster Tag im Prozess gegen den mutmaßlichen Todesfahrer von Rohrbach: Bernd W. (50) soll den 54-jährigen Martin W. aus Eschlbach totgefahren haben und geflüchtet sein, um die Tat zu verschleiern – er räumt eine Kollision ein und auch, dass er weitergefahren ist, will aber keine Person gesehen haben

Von Tobias Zell

Dass er am Steuer des Kleinlasters saß, als der 54-jährige Martin W. aus Eschlbach im Dezember vergangenen Jahres auf der Staatsstraße bei Rohrbach totgefahren wurde, bestreitet nicht einmal der Mann auf der Anklagebank. Und er gibt auch zu, nach der Kollision weitergefahren zu sein. Dennoch ist längst nicht alles klar in dem Prozess gegen den 50-jährigen Berufskraftfahrer Bernd W. aus dem Kreis Fürstenfeldbruck, der heute am Neuburger Amtsgericht begonnen hat und noch spannend werden dürfte.

Wichtige, vielleicht entscheidende Fragen stehen im Raum. Zum Beispiel, ob der Angeklagte wirklich nicht bemerkt hat oder nicht bemerken konnte, dass der „Schlag“, den er nach eigenen Angaben sehr wohl wahrgenommen hat, vom Zusammenstoß mit einem Menschen herrührte – und nicht, wie er geglaubt haben will, durch die Kollision mit einem Baustellenschild. Oder wie es zu bewerten ist, dass Bernd W. erst vier Kilometer nach dem Unfall auf einem Parkplatz anhielt, dort seinen Laster inspizierte, beschädigte Teile wegwarf, den durch den Unfall eingeklappten Spiegel wieder justierte, ihn reinigte und dann seine Fahrt fortsetzte. Oder ob es tatsächlich sein kann, dass der Angeklagte, wie er aussagt, nach dem Unfall versucht hat, seinen Chef telefonisch zu erreichen, die Funkzellen-Analyse der Ermittler aber keinen entsprechenden Nachweis erbrachte.

Dem 50-jährigen Kraftfahrer Bernd W. wird von der Staatsanwaltschaft zur Last gelegt, am 17. Dezember vergangenen Jahres zwischen 13.11 und 14.09 Uhr auf der Staatsstraße von Geisenfeld in Richtung Pfaffenhofen bei Rohrbach den Fußgänger Martin W. aufgrund fehlender Sorgfalt im Straßenverkehr mit seinem Kleinlaster erfasst zu haben. Das Opfer wurde in den Graben geschleudert und starb noch an der Unfallstelle. Nach Ansicht der Staatsanwältin ist Bernd W. geflüchtet, um die Tat zu verschleiern. Er habe sich damit auch als ungeeignet zum Führen eines Kraftfahrzeugs erwiesen.

Hier starb der 54-jährige Martin W. im Dezember vergangenen Jahres. 

Die Anklage lautet auf fahrlässige Tötung und unerlaubtes Entfernen vom Unfallort. Zunächst hatte die Staatsanwaltschaft, wie berichtet, auch in Richtung Mord ermittelt. Eine entsprechende Anklage wäre denkbar gewesen, wenn sich herausgestellt hätte, dass Martin W. nach dem Zusammenstoß noch gelebt hat und dann gestorben ist, weil der Unfallfahrer keine Hilfe gerufen hat. Allerdings haben die gerichtsmedizinischen Untersuchungen ergeben, dass das Opfer praktisch sofort tot war. Somit lautet der Vorwurf auf fahrlässige Tötung; die Höchststrafe dafür beträgt fünf Jahre Haft. 

Anwalt Martin Kämpf aus München, der Verteidiger des Angeklagten, gab heute gleich zu Beginn der Verhandlung eine Erklärung ab und schilderte den Vorfall aus der Sicht seines Mandanten. Bernd W. sei am besagten Tag mit dem Lkw auf der besagten Strecke unterwegs gewesen. Mit zirka 80 km/h, wesentlich schneller gehe das Fahrzeug gar nicht. Der Angeklagte habe einen „Schlag“ oder „Knall“ auf der Beifahrerseite registriert, daraufhin nach rechts geschaut und festgestellt, dass der Spiegel auf dieser Seite eingeklappt worden sei. Eine Person habe er nicht wahrgenommen; auch nicht im linken Spiegel. Danach habe er wieder nach vorne gesehen und 50 oder 100 Meter weiter ein Baustellenschild erblickt. Deshalb habe er gemeint, er sei wohl gerade an ein vorheriges Baustellenschild gefahren. Dem Vorfall habe er keine größere Bedeutung zugemessen. 

Heute sei seinem Mandanten klar, führte der Anwalt weiter aus: Das war ein Fehler. Er wisse, dass er hätte anhalten und überprüfen müssen, was da passiert war. Auf einem Parkplatz, rund vier Kilometer weiter, stoppte er dann auch – und stellte fest, dass der Windabweiser und der Weitwinkel-Spiegel an seinem Lkw kaputt waren. Blutspuren habe er nicht gesehen. Die kaputten Teile warf er auf dem Parkplatz weg. Ein Polizist der Pfaffenhofener Inspektion sollte sie später entdecken – ein Fund, der die Ermittler letztlich zum Unfallfahrzeug und damit auch zum Angeklagten führte.

Der Angeklagte Bernd W. mit seinem Verteidiger Martin Kämpf im Gerichtssaal.

Von dem besagten Parkplatz aus will Bernd W. auch mehrfach  – vergeblich – versucht haben, seinen Chef per Handy zu kontaktieren, um ihn von dem Unfall zu informieren. Später habe er ihn dann auch erreicht. Die Richterin wandte ein, dass es für Anrufe beim Chef keinen Beleg gibt; weder über die Anruf-Liste noch aus den Ergebnissen der Funkzellen-Analyse. In der Anruf-Liste konnten nicht alle Telefonate rekonstruiert werden, hielt der Angeklagte entgegen – und sein Chef, der noch als Zeuge aussagt, werde den Anruf bestätigen.

Dass der Unfall zwischen 13.11 und 14.09 Uhr geschehen sein muss, ist das Ergebnis der Ermittlungen. Um 13.11 Uhr hat der Angeklagte noch in Manching getankt und um 14.09 Uhr in Pfaffenhofen eine Auslieferung getätigt. Ein Kripo-Beamter geht davon aus, dass der Unfall kurz vor 13.58 Uhr geschehen ist. Denn um diese Zeit konnte durch die Auswertung des digitalen „Fahrtenschreibers“ ein Stopp von etwa zwei Minuten nachgewiesen werden – das dürfte der Halt auf dem Parkplatz gewesen sein. Theoretisch könnte Bernd W. zu diesem Zeitpunkt auch bereits telefoniert haben – allerdings liegt laut Kripo eine Funkzellen-Auswertung erst ab 14 Uhr vor.

Bernd W. hat – das belegen ebenfalls entsprechende Unterlagen – noch am Tag des Unfalls die beschädigten Lkw-Teile nachbestellt. Nach Feierabend sei er dann zu einer Freundin gefahren – sie wird ebenfalls noch als Zeugin aussagen – und anschließend nach Hause. Sein Mandant habe sich nichts vorzuwerfen, führte der Anwalt weiter aus: Er sei nicht zu schnell gefahren und habe auch keinen Grund gehabt, etwas zu verschweigen. Er habe das Opfer nicht wahrgenommen und deshalb auch kein Fahrmanöver vornehmen können, um das Unglück zu verhindern. Was passiert sei, tue ihm leid, ließ der Angeklagte über seinen Verteidiger mitteilen. 

Hier geschah der schreckliche Unfall.

Die Sonne sei tief gestanden zum Unglückszeitpunkt, der Angeklagte berichtete von eingeschränkter Sicht. Er habe deshalb auch die Sonnenblende heruntergeklappt gehabt, erklärte er auf die Frage der Richterin, die wiederum meinte: „Trotz dieser Blendung konnten sie noch mit 80 km/h fahren?“ Doch der Angeklagte entgegnete sinngemäß, er meine schon, dass er die Straße entsprechend im Blick hatte. Ob es ihm denn nicht komisch vorgekommen sei, dass ein Baustellenschild einen solchen, „nicht unerheblichen“ Schaden am Lkw verursacht haben soll? Dazu meinte Bernd W.: Er sei seit 25 Jahren Berufskraftfahrer und habe des Öfteren erlebt, dass ein Spiegel einklappt, etwa durch Äste.

Aber als Berufskraftfahrer hätte ihm doch auch bewusst sein müssen, dass ein Unfall zu melden sei, hielt ihm wiederum die Richterin vor. Doch Bernd W. erklärte, er sei von einer „Kleinigkeit“ ausgegangen. Im Spiegel habe er nach dem Unfall jedenfalls nichts gesehen, was er angefahren haben könnte, antwortete er auf die Frage der Staatsanwältin. „Erschrocken“ sei er nach dem Knall und „runter vom Gas“. Doch dann habe er ja das Baustellenschild vor sich gesehen – und eben gedacht, dass das gerade auch ein Schild gewesen sei. 

Auf die Idee, dass da ein Mensch gewesen sein könnte, sei Bernd W. nicht gekommen, erklärte er. Und ergänzte zur Verwunderung von Richterin und Staatsanwältin: Noch nie habe er erlebt, dass auf einer so viel befahrenen Straße jemand auf der Fahrbahn gehe. Wobei er ja auch niemanden gesehen haben will. Von dem tödlichen Unfall habe er erst „ein paar Wochen später“ erfahren, bei einem Telefonat mit der Chefin. Angesprochen fühlte er sich offensichtlich nicht.

Mehrere Polizeibeamte, die als Zeugen geladen waren, berichteten über ihre Ermittlungen und wie sie anhand der am Unfallort und auf dem Parkplatz gefundenen Teile die Anzahl der in Frage kommenden Fahrzeuge zunehmend eingrenzen konnten. Bundesweit waren mehr als 2000 Lkw überprüft worden, schließlich konnte man durch einen Aufkleber im Spiegel-Gehäuse die Zahl entscheidend auf 153 und 82, dann auf 37 und durch die Farbe schließlich auf neun in Bayern, davon vier in Südbayern, eingrenzen.

Als dann am 23. Januar die Ermittler in München vorstellig wurden, wo bei der Firma, für die der Angeklagte arbeitet, eines der in Frage kommenden MAN-Fahrzeuge gemeldet ist, erklärte der Chef, dass zum fraglichen Zeitraum Bernd W. der Fahrer war. Was auch durch die digitalen Aufzeichnungen belegt ist. Schnell war nun klar: Das ist der Unfall-Lkw. Als Bernd W. von seiner Tour zurückkam, klickten wegen des dringenden Tatverdachts die Handschellen.

Ist es möglich, dass Martin W. das Opfer nicht sehen konnte? Hätte er den Unfall vermeiden können? Dazu sagte ein Gutachter aus. Bei einer Geschwindigkeit von 80 km/h hat er einen Anhalteweg inklusive Reaktionszeit von 72 Metern errechnet, um das Fahrzeug rechtzeitig zum Stillstand zu bringen. Und spätestens 28 Meter vor der Person hätte eine Lenkbewegung für ein Ausweichmanöver einsetzen müssen. Der Experte glaubt indes nicht, dass man rein durch das Aufprallgeräusch unterscheiden kann, ob man einen Menschen oder ein Verkehrsschild erfasst hat – schon deshalb, weil einem ja der Vergleich fehle.

Blutspuren im Straßengraben zeugten von dem tödlichen Unfall.

Bezüglich möglicher Licht- und Schattenverhältnisse, berichtete der Gutachter, dass er mit einem Kollegen in Kleidung, wie sie das Opfer trug, Sichtversuche unter ähnlichen Bedingungen gemacht habe. Ergebnis: Schon aus 70 Metern Entfernung sei der Mann „durchaus wahrnehmbar“ gewesen. Allerdings räumte der Experte auch ein, dass bezüglich von Licht und Schatten wegen des sich ändernden Sonnenstands schon wenige Minuten einen Unterschied ausmachen könnten, der die Wahrnehmbarkeit deutlich herabsetze. Um das genauer beurteilen zu können, müsste man jetzt dann im Dezember, wenn die Sonne wieder ähnlich steht, entsprechende Versuche am Unfallort durchführen.

Etwas skurril mutete die intensive Auseinandersetzung mit der Frage an, ob es sich tatsächlich um ein Verkehrsschild gehandelt haben könnte, das Bernd W. da mit seinem Lkw erfasst hat. Dazu war sogar ein Vertreter des Landratsamts Pfaffenhofen als Zeuge geladen, der aber versichern konnte, dass zu diesem Zeitpunkt dort kein Schild genehmigt war. Und dass da auch definitiv keines stand, wisse er, weil er diese Strecke täglich fahre. Das erste der besagten Baustellenschilder stand erst 200 Meter weiter in Richtung Pfaffenhofen.

Obwohl sich der tödliche Unfall am frühen Nachmittag ereignet hat, wurde die Leiche von Martin W. erst am nächsten Morgen von einem Rollerfahrer entdeckt. Es konnte nur noch der Tod des 54-Jährigen Unfallopfers festgestellt werden. Der getötete Martin W. wurde von einem der Ermittler als „Einzelgänger ohne Sozialkontakte“ beschrieben; er  hatte wegen Unzuverlässigkeit seinen Job im Schlachthof verloren und sich offenbar seither noch mehr isoliert. Finanziell war Martin W. offenbar auf Kante genäht, auf dem Konto hatte er neun Euro.

 Tatort: Staatsstraße bei Rohrbach, fast direkt gegenüber der Abzweigung zum Straßhofweg.

Gestorben ist Martin W. laut Obduktion an einem so genannten Polytrauma. Berichtet wurde von „großflächigen, intensiven“ Verletzungen – einige so schwer, dass sie für sich allein bereits schnell zum Tod geführt hätten. Die Richterin zitierte aus dem entsprechenden Gutachten, nachdem man davon ausgehen muss, dass das Opfer selbst bei umgehender Reaktion nicht zu retten gewesen wäre. Im Blut von Martin W. fanden sich keine Hinweise auf Arznei- oder Suchtstoffe; lediglich dass er Zigaretten geraucht hatte, wurde nachgewiesen.

Und obwohl Martin W. laut Untersuchung des Leichenbluts höchstens 0,03 bis 0,06 Promille Alkohol intus hatte, also stocknüchtern war, will es der Verteidiger in diesem Punkt noch genauer wissen. Deshalb soll auch der Vermieter des Opfers als Zeuge aussagen. Denn der Anwalt machte Andeutungen, wonach das Unfall-Opfer möglicherweise ein Alkohol-Problem gehabt hat. Vielleicht habe Martin W. ja kein Geld für Nachschub gehabt, erklärte er den praktisch nicht vorhandenen Promille-Wert. Und Entzugserscheinungen könnten in Zusammenhang mit dem Unfall auch eine Rolle spielen, so der Verteidiger. Und auch einen möglichen Suizid des Opfers stellte er in den Raum. 

Der Prozess wird am 10. Dezember um 9.30 Uhr fortgesetzt. Dann ist unter anderem der Vermieter des Opfers als Zeuge geladen; außerdem wird die Freundin des Angeklagten aussagen, bei der er nach eigenen Angaben am Abend des Unfalltags war. 

Bisherige Artikel zum Thema:

Tod im Straßengraben

Tod am Straßenrand – Staatsanwaltschaft hat Anklage erhoben

Wer hat Martin Wittmann noch lebend gesehen?

Tod am Straßenrand

Jagd auf den Todesfahrer

Wer hat Martin Wittmann totgefahren?

Identität des Toten im Straßengraben ist geklärt

Leiche im Straßengraben bei Rohrbach entdeckt


Anzeige
RSS feed