Nach der Heldentat: Jürgen Heim (49) berichtet im Gespräch mit unserer Zeitung, wie er den dramatischen Vorfall erlebt hat.
Von Tobias Zell
„Wie alt bist du denn?“, fragt er den jungen Reporter von Sat.1 ganz freundlich. Er wirkt sichtlich verwundert ob der Jugendhaftigkeit des Gegenübers, aber Fernseh-Leute werden ja offenbar wirklich immer jünger. Von Aufregung ist da jedenfalls keine Spur bei diesem Mann, der gerade noch einen brennenden Tanklastzug aus Schrobenhausen gelenkt und damit womöglich eine Katastrophe verhindert hat. Die Frage, ob er nach diesem dramatischen Geschehen überhaupt Interviews geben mag, die stellt sich irgendwie nicht. Er hat offensichtlich kein Problem damit, die Geschichte zu erzählen, die er da heute erlebt hat. Aber erst einmal raucht er eine Zigarette. Man unterhält sich derweil und duzt sich auch gleich.
Jürgen Heim ist 49 Jahre alt und kommt aus Memmingen. Seit 23 Jahren fährt er einen Tanklastzug, sagt er im Gespräch mit unserer Zeitung – während im Hintergrund die Feuerwehrleute sich um eben seinen Tanklastzug kümmern, den er so heldenhaft aus der Stadt heraussteuerte, nachdem das Gefährt Feuer gefangen hatte. Doch von Mut spricht er selbst gar nicht. Er wollte den brennenden Tankzug einfach nur aus der Stadt rausschaffen. Er sagt das so, als wäre es das Normalste von der Welt.
Was diesem Brummi-Lenker da am Montagnachmittag widerfahren ist, das dürfte noch nicht so oft vorgekommen sein. „Der Fahrer des Tanklastzuges hatte das vermutlich durch einen geplatzten Reifen verursachte Feuer bemerkt und daher angehalten, um einen Löschversuch zu unternehmen“, berichtete am Abend das Polizeipräsidium Oberbayern-Nord. „Da dieses Unterfangen dem erfahrenen Fahrzeuglenker jedoch aussichtslos erschien, setzte er sich wieder in sein Fahrzeug, verständigte über Notruf die Polizei und lenkte das brennende Gespann unter Anleitung des Beamten in der Einsatzzentrale aus der Stadt hinaus auf unbewohntes Gebiet.“
Wie aber hat Jürgen Heim das alles erlebt? In Vohburg, erzählt er uns, hatte er seinen Tankzug beladen. 25 000 Liter Diesel und 10 000 Liter Benzin. Die Tour sollte ihn eigentlich über Augsburg und Landsberg am Lech nach Memmingen führen. Doch auf der B 300 in Schrobenhausen nahm das Unheil seinen Lauf. „Es hat einen Riesenschlag gemacht und geraucht“, berichtet er. Daraufhin habe er angehalten und nachgeschaut. Er geht davon aus, dass sich das Feuer nach einem Reifenplatzer entwickelt hatte. „Das war ein technischer Defekt“, wird er später vermuten. Als er seinen Lkw gestoppt und die Lage inspiziert hatte, lautete seine beklemmende Diagnose: „Das ist nicht zu löschen.“ Jürgen Heim wählte den Notruf, schilderte das Dilemma.
Genau 13.47 Uhr sei es gewesen, berichtete später am Einsatzort ein Polizei-Sprecher unserer Zeitung, um genau 13.47 Uhr sei der Notruf eingegangen. Der Beamte, der den Anruf entgegennahm, sei dann in Kontakt mit dem 49-Jährigen geblieben und habe den brennenden Tankzug aus Schrobenhausen herausdirigiert. Durch sein besonnenes, ja mutiges Verhalten habe Lkw-Fahrer Jürgen Heim „die Stadt sicher vor großer Gefahr bewahrt“, attestierte ein Sprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern-Nord.
Am Steuer eines brennenden Tanklastzugs – welch eine Horror-Vorstellung! Was ihm denn da durch den Kopf gegangen sei, wird Jürgen Heim gefragt. „Ich habe überhaupt nichts gedacht“, sagt er. „Ich hab’ geschaut, dass ich ihn aus der Ortschaft rauskrieg.“ Raus aus der Stadt, raus aus dem Wohngebiet. Die Fahrt des Lkw fand letztlich in einer Senke, auf der Staatsstraße 2050 einige hundert Meter nach dem Ortsschild von Schrobenhausen in Richtung Aresing, ihr Ende. Die Straße zeugt von der Höllenfahrt: schwarze Flecken und Spuren auf der Fahrbahn, geschmolzenes Material, Metall-Trümmer liegen herum. Und kleine Häufchen, die aussehen, als hätte jemand Grillkohle zertreten. Das Nummernschild sollte später ein Polizist am Straßenrand finden.
Lkw-Fahrer Heim konnte sein brennendes Gespann unverletzt verlassen. Er ist nach eigener Schilderung erst einmal ungefähr 300 Meter in ein Waldstück gelaufen, um sich in Sicherheit zu bringen. Während sich die Polizei seiner annahm, rückten unzählige Einsatzkräfte an. Allein die Zahl der Feuerwehrleute wurde auf über 100 beziffert. Das Bild, das sich den ersten eingetroffenen Polizisten bot, beschreibt ein Beamter so: „Es war alles eine schwarze Rauchwolke.“ Auch auf ein angrenzendes Getreidefeld hatte das Feuer übergegriffen. Die Höhe des Schadens stand am Montagabend noch nicht fest; verletzt wurde nach bisherigem Stand niemand.
Die Löscharbeiten wurden eilends aufgenommen, sie zogen sich über mehrere Stunden hin. Zunächst konnte eine Explosions-Gefahr nicht ausgeschlossen werden, deshalb sperrte man die Straßen im weiteren Umkreis ab. Für betroffene Anwohner wurde eine Gefahrenmeldung veranlasst – verbunden mit dem Hinweis, in den Häusern zu bleiben sowie Türen und Fenster geschlossen zu halten. Erst gegen 17.25 Uhr konnte diese Warnung aufgehoben werden; zu diesem Zeitpunkt war laut Polizei das Feuer gelöscht und der mit zigtausenden Litern Treibstoff befüllte Sattel-Auflieger soweit heruntergekühlt, dass ein Aufatmen zu spüren war.
Wiederum eine geschätzte halbe Stunde später berichtet Jürgen Heim dann unserer Zeitung und dem Sat.1-Team, wie er diesen dramatischen Vorfall erlebt hat. Er wirkt erstaunlich aufgeräumt, ja gelassen. Räumt aber dann doch ein, dass das schon „brutal anstrengend“ gewesen sei. Vor allem jedoch will er "ein großes Lob an die Feuerwehr" loswerden. Wie die sich heranwagten an den brennenden Tankzug. Neben dem couragierten Lkw-Fahrer dürften auch einige Floriansjünger bei diesem Einsatz ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben. Heim verabschiedet sich schließlich ebenso freundlich, wie das Gespräch begonnen hatte. Nur eines noch, das musste man ihn freilich fragen: Was jetzt? Die Antwort des Helden: „Nach Hause zur Familie.“
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