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Ein Gastbeitrag über Pfaffenhofen und seine Innenstadt, das Internet und den Einzelhandel. Über den Hauptplatz, Kundschaft und Lebensqualität.

Von Matthias Scholz 

Wir schreiben das Jahr 2017 und der Einzelhandel wandelt sich, der Online-Handel boomt. Die Hoffnungen, gewisse Dinge ließen sich nicht über das Internet verkaufen, erweisen sich als falsch. Der Händler bestimmt nicht mehr durch seine Auswahl, was den Kunden zu gefallen hat, und im Umkehrschluss sucht sich der Kunde den Händler, der das bietet, was dieser Kunde meint, haben zu wollen. Dazu kommt, dass dieses Internetz keine Ladenöffnungszeiten kennt, die Auswahl im Sortiment grenzen- und endlos ist und der bequemste Parkplatz beim Shoppen das eigene Sofa ist.

 

Offline vs. online – Es stellen sich Fragen

Wird es den Einzelhandel, wie wir ihn seit Jahrzehnten kennen, in Zukunft noch geben? Werden wir bald alles online kaufen? Welche Anziehungskraft werden Innenstädte dann noch künftig haben? Was war eigentlich die letzte Innovation im stationären Einzelhandel seit dem EC-Kartenlesegerät? Erster Hinweis auf die möglichen Antworten: Die Zukunft hat längst begonnen und die „Digitalisierung“, dieses elende Modewort, wird bereits in vielen Händen gehalten, in sehr vielen Händen: Heutzutage haben mehr Leute ein Smartphone als den althergebrachten Festnetz-Anschluss zuhause. 

Hamma nicht – gibt’s nicht

Noch ein paar Bausteine zur Antwortfindung auf die Fragen: Im „Netz“ steht man immer als Erster an der Kasse, ein „Nein“ oder „Haben wir nicht“ kommt beim Kauf nicht vor und online bestimmt der Kunde das Tempo sowie was, wann, wo oder ob er überhaupt shoppt. Dazu kommt noch die Vergleichbarkeit der Preise im Netz, die viele traditionelle und stationäre Händler unter enormen Druck setzt. Wie sehr lässt sich einfach an einem Beispiel zeigen: Ein Drittel des Spielwaren-Umsatzes wird mittlerweile online gemacht – genauso viel Umsatz wie im lokalen Fachhandel. Was das alles bedeutet? Die Händler hinter der Ladentheke sind für viele Kunden schlicht austauschbar geworden. Gekauft wird in einer globalen Welt überall.

Genug analysiert, genug gejammert, Zeit für Lösungen

Wieder ein Beispiel: Unter www.besserdaheim.de kann bereits online und lokal eingekauft werden – mit taggleicher Lieferung im Stadtgebiet. Dieser Online-Marktplatz wird zwar noch aufgebaut, funktioniert aber heute schon tadellos und es haben sich bereits 40 Händler gefunden, die ihr Sortiment und ihre Produkte online anbieten. Die Idee dahinter ist: Wer aus der Masse herausstechen will, muss sich etwas einfallen lassen. Für den Laden vor Ort kann das heißen: rückläufiges Geschäft mit schwindender Laufkundschaft durch einen Online-Shop auffangen. Ich wünschte, es wären noch viel mehr Pfaffenhofener Händler dabei, aber viele scheuen noch den Mehraufwand und haben die unbegründete Angst vor der Preistransparenz.

Whisky-Tasting beim Frisör

Nächster Lösungsansatz: Man kann auch versuchen, die Kunden durch Events und Beratungskompetenz an den Laden zu binden, um nicht gegen die meist gesichtslosen Online-Händler zu verlieren. Man muss „nur“ einen Mehrwert bieten. Wie es zum Beispiel ein Pfaffenhofener Barbier tut, der „Whisky-Tastings“ anbietet, dazu coole Klamotten verkauft und so ganz nebenbei zum Einzelhändler wird. So verbindet man Persönlichkeit, Erleben und Genuss. Dinge, die sich im Online-Handel nur schwer gemeinsam darstellen lassen. Als Kunde bin ich persönlich sogar noch pflegeleichter: Ich finde es großartig, sich mit Namen zu begrüßen, kurz über Fußball reden zu können – und das beim Zigaretten-Kaufen. Persönlichkeit, Erleben und Genuss in einfachster Form. 

Droht der Zusammenbruch des lokalen Einzelhandels trotz hoher Kompetenz?

Und trotz der Persönlichkeiten im Laden werden die Kunden im stationären Fachhandel weniger. Sie sind vielleicht sogar beide eine aussterbende Art. Noch 2012 erklärte jeder zweite Deutsche, dass er am liebsten in einem Geschäft einkaufen geht – heute sind es noch 25 Prozent. Welche Kettenreaktion diese 75 Prozent auslösen, ist den wenigsten klar: Fehlen die Umsätze, weil die Menschen lieber online shoppen, reduziert man als Händler die Auswahl und spart am Personal. Als letztes wird der Mietvertrag gekündigt, das Geschäft aufgegeben und es kommt zum „Retail Meltdown“, dem Kollaps des stationären Einzelhandels, der sich bereits in manchen deutschen Innenstädten beobachten lässt. Die Innenstädte werden leerer. 

Der Ausblick in die Zukunft

Der „Zusammenbruch des Einzelhandels“ ist also keine Drohkulisse mehr. So prognostiziert das Institut für Handelsforschung die Schließung von 30 Prozent aller stationären Filialen bis 2020 – und beim Blick in die Vergangenheit erkennt man, dass sich seit der Jahrtausend-Wende die Menge der selbstständigen Modehändler von mehr als 35 000 fast halbiert hat, die Anzahl der Reisebüros stetig abnimmt und rund 150 Buchhändler jedes Jahr aufgeben. Wächst der Online-Handel weiter wie bisher, droht bis 2020 rund 45 000 Läden in Deutschland das Aus – das wäre mehr als jedes zehnte Geschäft. Zur Erinnerung: Plattenläden à la Sound gehören nicht dazu, sie sind schon lange Geschichte, heute wird Musik allemal gestreamt. 

Einkaufsverhalten ändert sich schneller, als man über den Hauptplatz fahren kann

Fällt Ihnen etwas auf? Ich habe bisher nur einmal von Parkplätzen und noch gar nicht von Erreichbarkeit, Aufenthaltsqualität oder Durchgangsverkehr und wenig von Pfaffenhofen geschrieben. Trotzdem ändert sich unser Einkaufsverhalten schneller als jemals zuvor. Der Digitalisierung ist es egal, ob da 20 Parkplätze mehr oder weniger auf dem Hauptplatz sind und ob man schnell und ohne Umweg durch die Scheyerer Straße zur Ingolstädter Straße kommt. Hinzu kommt, dass wir ja noch eine hervorragende Auswahl an kleinen und großen Geschäften haben, an Boutiquen und Kaufhäusern. Wir haben sie noch in der Stadt: die Reisebüros, Spielwarenhändler und Buchhandlungen.

Und was machen die Kaufleute ob sinkender Umsätze und fehlender Kundschaft? Bemühen sie sich? Präsentieren sie uns Besonderes, Unerwartetes, Überraschendes? Das muss jeder für sich beantworten. Wir reden jetzt lieber über Parkplätze und Durchgangsverkehr. Dass versteht man, dagegen kann man was tun. Nur, glaube ich, es ist der falsche Ansatz. Ja, ich bin Geograf und kein Händler, aber ich weiß, was eine Innenstadt leisten kann und in Zukunft sein soll. Sie soll ein urbanes Zentrum mit Lebensqualität sein. Es gilt sie als Ort der Überraschung zu inszenieren, sie als Ort der Nachhaltigkeit zu definieren und zu einem Ort der persönlichen Begegnung zu machen. Den Weg dahin muss man diskutieren: Ob eine Verkehrsberuhigung in Schrittgeschwindigkeit sinnvoll ist oder doch eine Durchgangssperre. Nur pures Dagegen-Sein macht für niemanden einen Sinn. Schon gar keinen Sinn macht es, an Bewährtem festzuhalten: die Zukunft ist nah. 

Und für alle, die bis zum Schluss durchgehalten haben: Der Pfaffenhofener Einzelhandel hat gegenüber dem Internet immer einen Riesenvorteil. Stichworte Service, Beratung, Erlebnis. Dafür nehme ich als Kunde auch unglaubliche 200 Meter Fußweg – den ich in zwei Minuten gehen kann – zum nächsten Parkplatz gerne in Kauf. Vielleicht bin aber auch nur ich so. Eins noch: Niemand hat die Absicht, alle Parkplätze zu streichen und ja, an Gehbehinderte, Senioren und Ortsteilbevölkerung wird auch gedacht. Sie werden alle, egal bei welcher Entscheidung, immer bis zum Hauptplatz gefahren werden können. Trotz Digitalisierung und Online-Handel. Ein Parfum kauft man nicht im Vorbeifahren.

*

Matthias Scholz, Jahrgang 1976, ist Geschäftsführer der städtischen Wirtschafts- und Servicegesellschaft (WSP) und lebt seit 2010 in Pfaffenhofen. Er studierte an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg Geographie mit den Schwerpunkten Wirtschaft und Handel. Neben seinem Beruf engagiert er sich im Wirtschaftsbeirat des Landkreises Pfaffenhofen.

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