Das Pfaffenhofener Amtsgericht hat es abgelehnt, ein Gutachten über den Gesundheitszustand des nach einem schweren Unfall an Amnesie leidenden, wiedergewählten Landrats anzuordnen. Damit scheint erneut völlig unklar, wie es weitergeht.
Von Tobias Zell
Wenn nur alles so klar wäre wie das Ergebnis: Mit fast 75 Prozent der Stimmen ist Martin Wolf (CSU) am 7. Mai im Amt des Pfaffenhofener Landrats bestätigt worden. Die Frage, wen die Wähler an der Spitze des Kreises wollen, ist damit unmissverständlich beantwortet. Ob Wolf aber angesichts seines Gesundheitszustands – er leidet unter Amnesie – überhaupt in der Lage ist, diese Wahl anzunehmen, ist nach wie vor offen. Zwar zeichnet sich zunehmend ab, dass er deutlich mehr Zeit bekommt, ehe die Frist beginnt, innerhalb derer er die Wahl annehmen muss. Doch nun tauchen neue Fragen auf.
Denn wie unserer Zeitung aus dem Landratsamt bestätigt wurde, hat es das Pfaffenhofener Amtsgericht abgelehnt, ein ärztliches Gutachten über den Zustand von Martin Wolf anfertigen zu lassen. Wie es heißt, habe das Gericht keine rechtliche Grundlage dafür gesehen. Beim Landratsamt hatte man sich von dem Vorstoß erhofft, Rechtssicherheit zu gewinnen. Stattdessen gibt es nun neue Fragen: Wie ist die Entscheidung des Gerichts zu bewerten? Was bedeutet das für die weitere Vorgehensweise? Wie und wann kann, soll oder muss Wolf offiziell über seinen Wahlsieg verständigt werden?
Die tragische Vorgeschichte ist bekannt. Martin Wolf, mit dem Motorrad unterwegs, war am 2. April in einen folgenreichen Unfall verwickelt worden und liegt seither mit schweren Verletzungen im Krankenhaus. Das Unglück ereignete sich gegen 12.05 Uhr auf der A 99 in Richtung Stuttgart. Wolf wurde auf dem Verzögerungsstreifen der Anschlussstelle München-Neuherberg von einem Auto erfasst. Eine 53-jährige VW-Fahrerin war nach Angaben der Polizei mit ihrem Pkw auf das vor ihr fahrende Honda-Motorrad des 61-Jährigen aufgefahren.
Wolf wurde mit dem Rettungshubschrauber in ein Klinikum geflogen. An der heißen Phase des Wahlkampfs konnte der Schwerverletzte damit nicht aktiv teilnehmen. Unter dem Motto „Wir für Martin“ warben seine Parteifreunde derweil für ihn um Unterstützung. Das Drama fand allerdings einen weiteren Höhepunkt, als wenige Tage vor der Wahl bekannt wurde, dass Wolf durch den Unfall an Amnesie leidet – sprich: Gedächtnisstörungen beziehungsweise Erinnerungslücken hat.
Das Ergebnis, das Wolf erhielt, war sensationell. Von den exakt 99 187 Wahlberechtigten hatten 33 452 ihre Stimme abgegeben, davon waren 281 ungültig. Die Wahlbeteiligung lag damit bei 33,73 Prozent. Auf Wolf entfielen überwältigende 74,6 Prozent der Stimmen – das sind 24 746. Bei Norbert Ettenhuber von den Grünen machten 4237 Bürger ihr Kreuzchen, das entspricht 12,77 Prozent. FDP-Kandidat Franz Niedermayr konnte 4188 Stimmen auf sich vereinen, das bedeutete 12,63 Prozent. Diese Zahlen hatte der Wahlausschuss bekanntlich bereits am Tag nach dem Urnengang offiziell festgestellt.
Doch über dem famosen Wahl-Erfolg schwebte von Anfang an die Frage, ob Wolf gesundheitlich in der Lage sein wird, innerhalb der vorgegebenen Frist die Wahl anzunehmen. Denn das bayerische „Gesetz über die Wahl der Gemeinderäte, der Bürgermeister, der Kreistage und der Landräte“, kurz Gemeinde- und Landkreiswahlgesetz (GLKrWG), gibt vor, dass der Wahlleiter den Gewählten unverzüglich von dessen Wahlsieg verständigt und ihn zugleich auffordert, binnen einer Woche zu erklären, ob er die Wahl annimmt.
Wird die Wahl nicht wirksam angenommen, gilt sie als abgelehnt und es findet eine komplette Neuwahl statt – laut Gesetz soll diese innerhalb von drei Monaten nach Ablehnung der Wahl erfolgen. Der Termin dafür würde von der Regierung von Oberbayern festgelegt. Für diese neuerliche Wahl müssten die Parteien ihre Kandidaten zunächst wieder in dem vorgeschriebenen Verfahren nominieren. Auch alle Parteien, die für die Wahl am 7. Mai keinen Bewerber ins Rennen geschickt hatten, könnten dann einen Kandidaten aufstellen. Die Pfaffenhofener Sozialdemokraten haben am vergangenen Freitag bereits reagiert und im Zuge ihrer Jahresversammlung sicherheitshalber die Delegierten nominiert, die im Falle einer Neuwahl bei der SPD-Kreisdelegierten-Versammlung über einen möglichen Bewerber ihrer Partei abstimmen.
Nach dem Wahl-Sonntag prüfte Wahlleiter Heinz Taglieber drei Tage lang das weitere Vorgehen. Dabei zog er die Juristen aus dem Landratsamt ebenso zu Rate wie die Regierung von Oberbayern und das bayerische Innenministerium. Der Fall ist sehr speziell, es gab und gibt zahlreiche Details zu klären. So ging es zum Beispiel um die Frage, wie – also in welcher Form und auf welchem Wege – Wolf von seinem Wahlsieg verständigt werden kann.
Wiederum einige Tage später hatten Taglieber, ein Jurist des Landratsamts und Vize-Landrat Anton Westner (CSU) – wie berichtet – einen Besuch bei Martin Wolf gemacht. „Um sich ein Bild über den Gesundheitszustand zu machen“, wie per Pressemitteilung aus der Kreisbehörde erklärt worden war. „Eine Verständigung über den Ausgang der Wahl vom 7. Mai fand dabei nicht statt“, hieß es weiter, „weil eine akut erforderliche medizinische Behandlung dies nicht ermöglichte.“
Genau hinter jenem Satz, in dem von der nicht erfolgten „Verständigung“ die Rede ist, versteckte sich die damals brandneue Erkenntnis. Denn in dem genannten Passus des „Gemeinde- und Landkreiswahlgesetzes“ ist eben nicht davon die Rede, dass dem Wahlsieger die Nachricht von seiner Wahl übermittelt, überbracht oder übergeben wird, sondern es heißt: „Der Wahlleiter verständigt“ ihn. Und erst, wenn er „verständigt“ ist, beginnt demnach die Frist von einer Woche. Wolf wurde aber nicht verständigt. Und ist es offenbar bis heute nicht.
Der Begriff der „Verständigung“ erscheint jedenfalls auslegungsfähig. Wenn man es eng sieht, dann bedeutet „verständigt“ nicht mehr und nicht weniger als „informiert“ – und die Frist würde ab diesem Zeitpunkt laufen. Man könnte aber zum Beispiel auch die Sichtweise vertreten, dass jemand erst dann als „verständigt“ gilt, wenn er „verständig“ ist beziehungsweise „verstanden“ hat. Im „Duden“ finden sich drei Bedeutungen von „verständigen“, eine davon lautet: „Bewirken, dass eine Mitteilung zu einem anderen gelangt und (akustisch, inhaltlich) verstanden wird.“
Vor diesem Hintergrund zeichnete sich bereits ab, dass Martin Wolf nach seinem Wahlsieg vom 7. Mai wohl deutlich mehr Zeit hat, ehe er sich erklären muss, als zunächst angenommen. Es kommt mutmaßlich darauf an beziehungsweise es hängt viel davon ab, wann man ihn von seiner Wiederwahl zum Landrat als „verständigt“ sieht – und ab diesem Zeitpunkt hätte er dann immer noch eine Woche Zeit.
In diesem Zusammenhang ist nun mutmaßlich der jüngste Vorstoß des Wahlleiters zu sehen, das Amtsgericht einzuschalten. Denn offenbar ging es dabei auch um die Frage, ob die Verständigung über den Ausgang der Landrats-Wahl über eine angeordnete Betreuungsperson erfolgen könnte. Anders gesagt: Ob das Gericht einen Betreuer bestellt, der sozusagen anstelle von Wolf von dessen Wiederwahl verständigt werden kann.
Das anvisierte ärztliche Gutachten hätte somit wohl auch die Frage klären sollen, ob Wolf – im Hinblick auf seine Verständigung über den Wahlsieg beziehungsweise die Annahme der Wahl – geschäftsfähig ist. Doch diese Vorgehensweise scheint erst einmal vom Tisch, denn das Amtsgericht hat die Anordnung eines Gutachtens abgelehnt. Damit ist wieder das Landratsamt – beziehungsweise sind Wahlleiter Heinz Taglieber und der Wahlausschuss – am Zug.
Zum aktuellen Sachstand sowie zur rechtlichen Beurteilung der Situation und zum weiteren Vorgehen dürfte es am morgigen Mittwoch neue und offizielle Informationen geben. Das Landratsamt hat jedenfalls für 13.45 Uhr zu einem Pressegespräch zum Thema Landrats-Wahl eingeladen. Unter anderem werden Wahlleiter Heinz Taglieber und der Leiter der Kommunalabteilung im Landratsamt, Niklas Hafenrichter, Rede und Antwort stehen.
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