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Landrat Martin Wolf (CSU) hat angekündigt, nächstes Jahr die politische Bühne zu verlassen. Wie er das begründet und wie es dazu kam: Fakten, Hintergründe, Stimmungen.

Von Tobias Zell 

Kurz vor 9 Uhr im Pfaffenhofener Rentamt, gestern Vormittag. Die Türen zum Saal sind für die Medienvertreter noch verschlossen. Martin Wolf (CSU) sitzt mit den führenden Köpfen der Kreistag-Fraktionen zusammen, informiert sie gerade über seine berufliche und politische Zukunft. Im Gang hängen Gemälde, die frühere Landräte zeigen. Wolf wird sich demnächst in die Galerie der ehemaligen Landkreis-Chefs einreihen. Bei Kaffee und Butterbrezen erklärt er dann auch den Journalisten, dass es für ihn als Landrat nicht weitergehen wird. Altersbedingt, wie er darlegt, und mangels Energie für einen weiteren Wahlkampf. Vor einigen Tagen ist er 63 geworden, im Frühjahr 2020 will er aufhören und sich ganz aus der Politik zurückziehen. 

 

"Ich mache es mit großer Leidenschaft", erklärt er gegenüber den Vertretern der lokalen Medien über seine Arbeit als Landrat. Es ist der Posten, auf den ihn die Bürger zwei Mal gehievt haben: Im Jahr 2011 setzte er sich denkbar knapp in der Stichwahl gegen den Polit-Newcomer Rolf Deml (Freie Wähler) durch, der gestern seinen 50. Geburtstag feierte. Im Jahr 2017 wurde Wolf trotz zwei Gegenkandidaten auf Anhieb mit rund 75 Prozent im Amt bestätigt, während er nach einem schrecklichen Verkehrsunfall in der Klinik lag. Wenige Tage vor diesem famosen Wahlerfolg war bekannt geworden, dass er unter Amnesie leidet, sprich: Gedächtnisstörungen beziehungsweise Erinnerungslücken hat.

Zunächst war gar nicht klar, ob Wolf angesichts seiner schweren Verletzungen überhaupt in der Lage sein wird, die Wahl anzunehmen und den Landrats-Posten weiterhin zu bekleiden. Doch er kämpfte sich zurück. "Die Rückkehr ins Amt war immer mein Antrieb", sagte er in einem Interview mit unserer Zeitung. Als er aus dem künstlichen Koma erwacht sei, habe er gleich wieder "Leidenschaft für diese Tätigkeit" verspürt. Sätze wie "Ich bin wieder der Alte" oder "Ich werde wieder der Alte" werde man von ihm jedoch nicht hören, sagte er bei verschiedenen Anlässen. Ein Ereignis wie dieser schwere Unfall präge einen und verändere den Blick auf das Leben.

 

Wolfs neuer Blick, zumindest der auf seine eigene politische Zukunft, machte den Parteifreunden dann allerdings zuweilen recht zu schaffen. Eigentlich wird ein Landrat für sechs Jahre gewählt. Als sich Wolf zuletzt dem Votum der Bürger im Kreis Pfaffenhofen stellte, hatte er vorab versprochen, im Falle seiner Wiederwahl die anstehende Amtszeit auf drei Jahre zu verkürzen – damit ab 2020 die Wahlen von Landrat und Kreistag wieder gemeinsam stattfinden können. Diese Zusage nahm er im vergangenen Sommer plötzlich nicht mehr so genau. Er sehe nun "vieles unter einem neuen Licht", erklärte Wolf damals, eine Entscheidung für 2020 gebe es noch nicht. Wortbruch schloss er also nicht aus – was nicht nur bei den Christsozialen für Aufregung, Empörung und Zündstoff sorgte. 

Ein solches "Wahlversprechen ist für die CSU heilig", betonte der CSU-Kreisvorsitzende und Landtags-Abgeordnete Karl Straub damals. Reinhard Heinrich, Bürgermeister von Reichertshausen und Chef der CSU-Fraktion im Kreistag, äußerte sich ähnlich. Er vernehme einen deutlichen Tenor im Kreisvorstand: "Wenn man ein Wort gibt, dann muss man sich daran halten, dann kann man das nicht einfach über Bord werfen." Manfred Russer, Rathauschef von Hohenwart, CSU-Kreisschatzmeister und Sprecher aller Bürgermeister im Landkreis, wurde noch deutlicher: "Ich erwarte, dass Wort gehalten wird. Wenn man sich nicht mehr auf das Wort der CSU verlassen kann, dann wird das nicht mehr mein Kreisverband sein." In der Partei brodelte es gewaltig. Aus dem einst gefeierten Leitwolf war der Problemwolf geworden. 

"Einfach mal getestet"

Er habe damals "einfach mal getestet", wie die Reaktionen ausfallen, räumte Wolf gestern ein. In der Sache würde er das wieder so machen, erklärte er auf Nachfrage unserer Zeitung. Nur formulieren täte er es anders. Es sei "keine kluge Idee" gewesen, von einem "Test" zu sprechen. "Ich hätte es nicht so bezeichnen sollen." Ungeachtet dessen: Der Test ist misslungen, dieser verbale Versuchsballon war krachend abgestürzt. Letztlich hat sich Wolf – so formulierte er es gestern selbst – "überzeugen lassen", von seiner ursprünglichen Zusage der Amtszeit-Verkürzung nicht abzuweichen. Er habe "lange überlegt" und "viele Gespräche" mit maßgeblichen Leuten geführt. Nun sei er "mit der politischen Welt im Reinen".

Pikant an der ganzen Sache: Bei den Christsozialen hatte man ursprünglich von einer freiwilligen Amtszeit-Verkürzung überhaupt nichts gehalten. Das sei gar kein Thema, erklärte Straub im Sommer 2016. Eine volle Amtszeit von sechs Jahren sei "unabdingbar notwendig, um das, was wir auf der Agenda haben, erfolgreich umzusetzen", sagte Heinrich. Und Russer meinte gar: "Ich würde einen Kandidaten, der nur für drei Jahre antritt, nicht wählen." 

Ohne Gegenstimme nominiert: Applaus für Wolf. (Archivfoto)

Letztlich hatte Wolf aber doch die Unterstützung seiner Partei bekommen, war – ohne Gegenstimme – wieder zum Landrats-Kandidaten gekürt worden. Maßgeblich für seine Entscheidung, im Falle der Wiederwahl die Amtszeit zu halbieren, seien "Entwicklungen im persönlichen Umfeld, die sich kurzfristig ergeben und mit den dienstlichen Aufgaben nichts zu tun haben", erläuterte er damals. Angesichts der intensiven und kontroversen Debatte über die Frage der Amtszeit-Verkürzung hatte er im Gespräch mit unserer Zeitung auch angemahnt: "Mir fehlt da etwas der Respekt vor dem Amt. Es geht dabei nicht um meine Person, sondern um das Amt des Landrats."

"Wird sich schon regeln" 

Hatte Wolf im vergangenen Sommer mit seinem sogar für führende Parteifreunde überraschenden Gedankenspiel, die Amtszeit doch nicht – wie ja just von ihm gewollt und versprochen – zu verkürzen, möglicherweise dann selbst diesen Respekt vor dem Amt etwas vermissen lassen? Unsere Zeitung fragte ihn das gestern. Es habe seinerzeit Gründe für die Zusage gegeben, sagt er. Doch die Folgen habe er damals in ihrem Umfang nicht absehen können. "Das wird sich dann schon regeln", habe er gedacht.

Die jüngsten "Vorhaltungen", wonach die Abkehr von der Zusage schlichtweg "Wortbruch" wäre, seien "schon Ausschlag gebend" für seine nun getroffene Entscheidung gewesen, räumt Wolf ein. "So wollte ich nicht in die Geschichte des Landkreises eingehen." Hat der ganze Wirbel der CSU geschadet? Wolf antwortet ausweichend. "Eine Sonderrolle zu beanspruchen, ist müßig", sagt er – und ergänzt auf Nachfrage: Abgesetzt fühle er sich nicht. Die Stimmung zwischen ihm und seiner Partei scheint allerdings nie schlechter gewesen zu sein als in den vergangenen Wochen und Monaten. Wolfs Rudel ging auf Distanz. Politisch wurde das Alphatier mitunter zum einsamen Wolf.

  

Die blanke Nachricht, die Martin Wolf gestern verkündete, ist schnell erzählt. Er wolle "informieren, dass ich als Landrat 2020 aufhören werde", las er aus einer E-Mail vor, die am Vormittag dann auch an die Mitarbeiter der Kreisbehörde verschickt wurde. Für seine Entscheidung nennt er zwei Hauptgründe. Erstens: sein Alter. "Ich bin 2020 dann 64 Jahre alt. An die Spitze unseres Hauses muss eine jüngere Person, die noch mitten im Leben steht."

Die "Herausforderungen werden enorm", erklärt er, nennt als Beispiele die Digitalisierung und den Klimawandel. "Bei diesen Themen kann kein Mann im Rentenalter in diesem Spitzenamt über die Weichen für nachfolgende Generationen entscheiden." Wenngleich man angesichts einer älter werdenden Gesellschaft in den Gremien weiterhin ältere Politiker brauche. Zweitens erklärt Wolf: "Die Energie zu einem weiteren eigenen Wahlkampf fehlt mir." Schon im September vergangenen Jahres sagte er unserer Zeitung: "Ich habe nicht vor, 2020 nochmal für sechs Jahre zu kandidieren."

 

Wolf am gestrigen Vormittag, als er seinen bevorstehenden Rückzug verkündete.

Für ihn, so legte Wolf gestern dar, wird im kommenden Jahr mit der Räumung des Landrats-Postens das Ende seiner politischen Tätigkeit einhergehen. Er werde dann mit der Politik "ganz aufhören", nicht für den Kreistag kandidieren. Das hänge auch damit zusammen, "dass ich diesen Schritt in die Wirtschaft machen will". Er habe "verschiedene Überlegungen" zu seinem künftigen Engagement, aber ja noch fünf Quartale Zeit, um sich zu entscheiden. Als Möglichkeit nennt er zwar eine Rückkehr ins Landwirtschafts-Ministerium, dort war er zuletzt Büroleiter des Ministers, stellt aber auch klar: "Ich möchte nicht auf einem Abstellgleis sitzen." 

"Will noch was bewegen"

Er denkt darüber nach, ob er "nicht mal in die Wirtschaft gehe". Wolf war früher auch landwirtschaftlicher Betriebsberater und lehrte an Landwirtschafts-Schulen. Immer habe er anderen gesagt, was sie tun sollten. Jetzt hegt er anscheinend den konkreten Wunsch, sich selbst in der freien Wirtschaft zu beweisen. In Pension zu gehen, das kommt für ihn offenbar nicht in Frage. "Ich will noch weiter arbeiten – an anderer Stelle", erklärt er. "Meine Motivation ist die Freude darüber, dass ich nach dem Unfall wieder gut genesen bin. Ich kann noch keine Ruhe geben." Wolf wirkte gestern entschlossen, nach seinem Abschied als Landrat eine andere berufliche Tätigkeit anzupacken: "Ich will noch was bewegen", sagt er. Und: "Ich glaube, dass Ehrenamt mich nicht auslasten würde."

  

Er werde selbstverständlich bis zum letzten Tag im April 2020 nach Kräften sein Amt als Landrat ausüben, versichert Wolf. Dankbar sei er für jede Unterstützung. Er wolle "nicht rumjammern" und jetzt auch nicht von einer "Abschieds-Tour" sprechen. Zu einem möglichen Nachfolger für den Posten des obersten Landkreis-Politikers äußerte er sich gestern nicht. Bei dem Pressetermin ging es einzig und allein um ihn und seine Entscheidung. Hinter den Kulissen laufen nach Informationen unserer Zeitung, jedenfalls bei den Christsozialen, aber längst die Überlegungen und Gespräche. Die CSU hat schließlich einiges zu verlieren im Landkreis. Mindestens den Landrats-Posten. 

Visionen und Tatsachen

Wolf, das merkt man ihm an, macht nicht gerade mit Freude Platz. Er wirkt visionär wie nie zuvor, die großen Themen haben es ihm seit seiner Rückkehr aus dem Krankenstand besonders angetan: Kampf dem Klimawandel ("Eine Photovoltaik-Anlage mehr oder weniger reißt nix mehr aus") und Digitalisierung auf allen Ebenen ("Wir fallen stündlich zurück, nicht täglich"). Er spricht von Flugtaxis und Telemedizin, vom autonomen Omnibus und vom Roboter für den Bürger-Service. "Alles spannende Dinge", sagt ein führender CSU-Mann im Gespräch mit unserer Zeitung. Aber Wolf "müsste mal wieder auf den Boden der Tatsachen zurückkommen". 

  

Hört man sich bei weiteren namhaften Vertretern der Partei im Landkreis um, so zeigt sich: Man wünscht sich wieder mehr Lokalbezug und Sachpolitik auf der Agenda, lieber harte Themen als diffuse Visionen. Der Zusammenhalt der 19 Gemeinden komme zu kurz, sagt einer. Philosophieren bringe nur bedingt weiter, findet ein anderer, Fakten seien zielführender. Mit seiner "messianischen Art und Weise" sei Wolf inzwischen "weit weg von dem, was die Leute im täglichen Leben beschäftig". Und für einiges, was Wolf da thematisiere, sei der Landkreis wohl auch kaum bis gar nicht zuständig. Wolf und die CSU – das wirkte zuletzt immer wieder wie ein Missverständnis. Freilich ist das auch ihm selbst nicht entgangen. Er reagiert darauf mit der Entschlossenheit, sich von seinem Kurs nicht abbringen zu lassen.

Wolfs Ausscheiden im nächsten Jahr hat noch offiziell abgesegnet zu werden. Wie Landratsamt-Sprecher Karl Huber auf Anfrage unserer Redaktion erklärt, muss der Kreistag bis spätestens September dieses Jahres einer Verkürzung der laufenden Amtszeit des – eigentlich ja für sechs Jahre gewählten – Landrats mehrheitlich zustimmen. Der Antrag dazu müsse von Wolf selbst kommen. Der erklärte gestern, mit diesem Schritt nicht bis zum Herbst warten zu wollen, "damit auch alle Klarheit haben". Noch in der ersten Jahreshälfte wolle er diesen Antrag stellen, spätestens in der übernächsten Sitzung am 15. April.

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